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Mittwoch, 4. April 2018

Blick in die Ferne - Teil 6

Freitag stand dann die große Prüfung auf dem Plan. Im Endeffekt kann ich nur sagen, wenn ihr sie mal schreiben müsst, macht euch nicht verrückt. Trotz englischer Sprache war es gut zu meistern, wenn man die Woche halbwegs aufmerksam war.

Als Belohnung gab es dann eine Fahrt mit dem Freifallboot: Ein Rettungsboot mit spitz zulaufendem Bug. Für unsere „Spaßfahrt“ ging es im freiem Fall aus ca. 7m ins Wasser. In Wirklichkeit findet man diese Installationen nur auf Bohrinseln, aber dann in 40-50m Höhe. Sie sind die letzte Instanz sein Leben zu retten bevor die Plattform explodiert. Aus dieser Höhe sind Knochenbrüche dann vorprogrammiert. Für uns war es die erste richtige Begegnung mit dem Wellengang. Der Tag war unheimlich stürmisch und Thilo überlegte, ob er das Boot überhaupt wieder aus dem Wasser bekommen würde. Aber uns zu liebe durften wir es testen. Man sitzt in einer erstaunlich steilen Schräglage mit dem Rücken zum Abgrund im geschlossenen Boot. Keine Fenster. Abgesehen von dem für den Steuermann, der erhöht mit Blick in die andere Richtung sitzt. Ich konnte sehen, wie Sebastian vor mir bebte. Höhenangst. Mir selber schlug das Herz bis zum Hals. Ein wenig vor Aufregung, aber vor allem wegen der Vorfreude und ich wurde nicht enttäuscht. Das Gefühl, wenn die Motoren starten, das Klicken der Halterung, der kleine Ruck, Millisekunden bevor wir die Schiene hinab rasen und fallen. Der Aufschlag warf unsere Köpfe nach hinten, trotz dieser geringen Höhe. Und dann wurde es erst richtig lustig. 
Die See war stürmisch und sobald Thilo seinen Platz verließ, um die Tür zu öffnen und die Leinen fertig zu machen, fehlte dem Boot der Antrieb nach vorn. Sofort legte es sich mit der Seite zu den Wellen und es schwankte. Nicht nur ein bisschen. Ein unregelmäßiges auf und ab. Einige von uns bekamen einen leichten Grünstich um die Nase. Zum Glück bin ich das Achterbahnfahren gewohnt und habe einen stabilen Magen. Als wir dann wieder sicher an Land standen galt es, das Boot zurück auf die Schiene über unseren Köpfen zu bringen. Das gute Stück wiegt einige Tonnen und musste irgendwie mit dem Heck zum Land ausgerichtet werden. Die darauf folgende halbe Stunde war die beeindruckendste der ganzen Wochen. Thilo, Garry, Swantje und ein weiterer Mitarbeiter des AfZ Ausbildungszentrum haben unglaublich konzentriert Hand in Hand gearbeitet. Trotz der Tatsache, dass Swantje gerade die erste Woche zum Team gehörte, wusste sie, was jedes Handzeichen bedeutete und was zu tun war. Ein perfektes Team. Und dank zwei langer Taue zum Ausrichten in der Luft durften wir Teil davon sein. Es war mir eine Ehre. Gemeinsam etwas zu bewegen und zu erreichen ist ein wunderbares Gefühl. Und dann habe ich natürlich die körperliche Arbeit vermisst, so lange sitzen liegt mir nicht.

Jetzt ist Samstag und ich habe ein interessantes Erste-Hilfe-Training hinter mir. Gut, alles mal aufzufrischen und neues zu lernen. Hoffentlich kann ich im Zug etwas schlafen, der Wellengang auf dem Hausboot war nicht ganz ohne und das Klatschen des Wassers in Kopfhöhe nur 2m entfernt waren etwas beängstigend. Und doch kann ich absolut sagen: Diese Woche hat mir gezeigt, dass es die richtige Entscheidung war, diesen Weg einzuschlagen. Ich fühle mich nun vorbereitet und kann es kaum erwarten, an Bord zu gehen.
Liebe MS Europa 2, ich komme. 


Dienstag, 3. April 2018

Blick in die Ferne - Teil 5

Der Donnerstag wurde am Vormittag von dem Thema Piraterie und Terrorismus bestimmt. In der praktischen Übung ging es dann noch einmal um das Feuer.

 
Als fünfer Team eingeteilt betraten wir einen Raum, der eher an ein kolumbianisches Gefängnis als einen Ausbildungsraum erinnerte. Zum einen herrschten gefühlte 40°C, was Maria mehr als freute und zum anderen dominierte ein riesiger Gitterkäfig die Fläche. Er erstreckte sich nach allen vier Seiten und erhob sich bis zur Decke. Dazwischen war er von zwei Böden und einigen Gitterquerwänden unterteilt, sodass schmale Gänge auf drei Etagen entstanden. Ihr könnt euch das Ganze wie eines dieser Kinder-Spielparadiese vorstellen, mit Gängen und Hindernissen, welche es zu überwinden gilt, um den Ausgang zu finden. Leider hatten die Etagen gerade eine Höhe von ca. 1m, sodass wir uns grundsätzlich nur auf Knien, manchmal robbend, fortbewegen konnten. Thilo drückte uns grinsend einen Dummy in die schwitzigen Hände und erklärte uns: „Dies ist euer ohnmächtiger Kapitän. Bringt ihn heil und natürlich stets mit dem Kopf nach oben durch die Gefahrenzone.“ 

Nach den ersten zwei Metern im Tunnel ging das Licht aus. Maria als unser Gruppenleiter hatte eine Taschenlampe und den Weg voraus. Sebastian und ich kümmerten uns um den Kapitän. Richard hatte mit seinen 2m Körpergröße genug zu tun und Lisa bildete den Schluss, um alle zusammen zu halten und die „Türen“ wieder zu schließen. So weit so gut. Das wirkliche Problem kam eine Rampe, zwei Halbwände zum drüber klettern und eine Eisenluke in die zweite Etage später. Rauch und ohrenbetäubender Lärm. Am Anfang war es noch Musik, welche motivierte. Später kann ich es nicht genau sagen. Das rote Schummerlicht und die Heizstrahler machten die Szenerie komplett. Willkommen in der Feuerkatastrophe. Ich spürte, wie der Schweiß mir über Arme und Rücken lief. Wie der Disconebel meine Lunge besetzte. Gemeinsam mit Sebastian versuchte ich, unseren Kapitän zu retten. Ihn vorsichtig aber so zügig wie möglich durch diesen Albtraum zu bringen. Wir robbten durch schmalen Röhren, versuchten die anderen schreiend und hustend vor einer schwingenden Doppeltür zu warnen und konnten unsere Hand vor Augen nicht sehen. Da wäre die Nichtrostende Doppelton-Signalpfeife sicher hilfreich gewesen. Ja, die Helme hatte Thilo nicht ohne Grund verteilt. Nach diesem Abenteuer folgte ein sehr nachdenkenswerter Film über Selbstmord und Brandstiftung auf Schiffen. Ist das Leben an Bord wirklich so belastend? 

Den Abend ließen wir mit Lernen und gemeinsamem Grillen auf dem Hausboot ausklingen. Es ist gut, Menschen zu haben, die deine Interessen teilen. Einige von den Jungs waren bereits gereifte Seeleute. Sie arbeiteten auf großen Tankern, fuhren für Seawatch oder waren Fischer mit eigenen Booten. Diese Erfahrungen, die sie mit uns teilten, steigerten die Vorfreude auf das Kommende noch mehr.

Montag, 2. April 2018

Blick in die Ferne - Teil 4

Der Mittwoch spezialisierte sich auf die Hochseetauglichkeitsuntersuchung beim Arzt und die Evakuierung und Leitung von Menschenmassen. Als erstes durfte das „Marine Evacuation System“ ausprobiert werden. Eine Art Bauschuttröhre für Menschen. Durch Körperspannung und seine ausgestreckten Arme kann man langsam durch einen inneren Stoffschlauch hinab rutschen. Ein wirklich spannendes Gefühl. So ist es möglich, Menschen auch über eine größere Höhe sicher nach unten zu bringen, ohne dass sich jemand verletzt. Damit allerdings jeder weiß, zu welchem Schlauch oder Rettungsboot er muss, gibt es zu Beginn jeder Reise einen Drill: Eine Notschutzübung für den Ernstfall. Dieser Ablauf wird dann vom „General Emergency Alarm“; sieben mal kurz, einmal lang angekündigt. Jeder Passagier wird auf seiner Kabine eine Rettungsweste finden, welche er anlegen muss. Ein Team von Crewmitgliedern wird jede Kabine, jedes Restaurant, jede noch so kleine Kammer einzeln öffnen und nach Menschen durchsuchen. Keiner wird vergessen. An den Treppenhäusern und Türen wird weiteres Personal stehen und den richtigen Weg zu den Musterstationen zeigen. Gemeint ist damit eigentlich nichts anderes als eine von mehreren Sammelstationen. Je nach Größe des Schiffes kann die Passagierzahl unterschiedlich sein.
Jeder kann den Namen seiner Musterstation auf seiner Rettungsweste und den Fluchtplänen finden. Von dort aus muss man einfach ruhig bleiben. Dem Personal zuhören und tun, was einem gesagt wird. Dafür wurden wir trainiert. Ziemlich sicher werde ich die ersten Wochen an Bord noch nicht alles wissen und die Vorstellung, dass das Leben dieser Menschen in meiner Hand liegen könnte, macht mir Angst, aber der Großteil der Crew ist alteingesessen und routiniert in diesen Übungen. Vertraut also darauf was gesagt wird. Wir wissen, was wir tun.

Durch Melina hatten Maria und ich die letzten Abende bereits etwas Anschluss zu den anderen Gästen auf dem Hausboot gefunden und an diesem luden sie uns ein, mit ihnen feiern zu gehen. Als anerkannter Musik- und Tanzfanatiker kam eine Absage natürlich nicht in Frage und da ich mit Maria eine Mitstreiterin für meinen alkoholfreien Lebensstil gefunden hatte, versprach es ein toller Abend zu werden. Wir besuchten einen kleinen Studenten Club in Rostock und auch, wenn der DJ keine Ahnung von seinem Handwerk hatte, machten wir die Tanzfläche unsicher. Ein kluger Mensch sagte einmal: „Du kennst einen Menschen erst wenn du mit ihm tanzt.“ Und da ist was dran. Ich hoffe, auf dem Schiff genauso schnell Anschluss zu finden, wie in dieser Woche.
  

Sonntag, 1. April 2018

Blick in die Ferne - Teil 3

Am Dienstag stand das Gegenteil im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit, das Wasser. In dieses durfte dann auch abgetaucht werden. Zuerst lernten wir allerdings alle Arten von Rettungsmitteln kennen, verschiedene Boote, Reifen und Westen. Nicht jede Schwimmweste ist auch eine anerkannte Rettungsweste. Eine Grundvoraussetzung ist zum Beispiel die Nichtrostende Doppelton-Signalpfeife oder wovon im Englischen gesprochen wird: „whistle“. Ich hoffe für euch, dass ihr auch mal die Gelegenheit bekommt, so einen Nachmittag wie diesen zu erleben. Unsere Ausrüstung bestand aus einer verpackten Rettungsinsel, zwei Rudern und je einem Immersion Suit. Ein 6mm dicker Neoprenanzug mit integrierter Rettungsweste, Kapuze und geschlossen Fuß- und Handteilen. Ach ja... und in leuchtend orange. Für die Farbe sollten wir im gut befahrenen Hafenbecken dann auch sehr dankbar sein. Es war wirklich anstrengend, in diesem Anzug zu schwimmen und Figuren zu bilden, die Rettungsinsel zu entern und mit ihr zurück zum Ufer zu paddeln. Wir haben alle einiges an Wasser geschluckt. Der Teamgeist war jedoch wirklich großartig: Mit „My Bonnie is over the ocean“ auf den Lippen ging es dann zurück an Land. Unsere letzte Herausforderung bildete der Sprung von der Hafenmauer ins Wasser und davor hatte ich wirklich Angst. Höhe macht mir nichts aus und Adrenalin erst recht nicht. Aber den Kopf unter Wasser zu haben. Nicht Atmen zu können, orientierungslos zu sein. Das ist einfach eine Situation, die ich in einem früheren Urlaub bereits kennengelernt habe und auf die ich wirklich verzichten kann. Also stand ich mit zitternden Knien an einen Pfeiler gedrängt und habe zu gesehen, wie einer nach dem anderen den Abgang gemacht hat. Scheiße. Am liebsten hätte ich geweint.
Swantje, unsere zweite Lehrerin hat glücklicherweise meinen Zustand bemerkt und mir gut zugeredet, mich motiviert und alle lebendig im Wasser zu sehen sprach ja für sich. Also habe ich es versucht. Es gibt einen Punkt, an dem das Adrenalin den Kopf besiegt, ein kurzes Fenster in dem man weiß, dass der Körper bereit ist etwas zu tun wozu er sonst nicht in der Lage wäre. Und dieses Fenster gilt es zu finden und zu nutzen. Der Moment in der Luft war großartig und der Moment vom Aufprall bis zum Auftauchen so kurz, dass ich ihn kaum bemerkt habe. Nicht zu vergleichen mit dem Sprung von damals. Am Ende war ich richtig happy über diesen gelungenen Tag.